Aktionstag Suchtberatung – „Wir sind die erste Anlaufstelle“

Nachricht Celle, 09. November 2022

Fritzenwiese 7 in 29221 Celle. Im ersten Stock vibriert der Summer der Tür, Anne Fitschen begrüßt an ihrem Arbeitsplatz. Die diplomierte Sozialarbeiterin und Sozialpädagogin ist in der Psychosozialen Beratungsstelle (PSB) tätig. Sozialpsychiatrischer Dienst, Fachstelle für Sucht und Suchtprävention lautet der offizielle Titel. Oder wie es Anne Fitschen nennt: „Die erste Anlaufstelle.“

Sie und ihre Kolleg*innen haben schon so vielen Menschen helfen können, ihre Probleme, Ängste und Süchte aufzuarbeiten. Damit das auch in Zukunft so ist, beteiligt sich auch die PSB am „Aktionstag Suchtberatung“. Unter der Schirmherrschaft von Burkhard Blienert, dem Beauftragten der Bundesregierung für Sucht- und Drogenfragen, wollen Suchtberatungsstellen überall im Land auf die prekäre Situation hinweisen. Wenn immer mehr Menschen suchtgefährdet sind, benötigt das entsprechende Unterstützung der Suchtberatung. Genau darauf will der diesjährige Aktionstag hinweisen. Schwerpunkt: „Wir sind für alle da…noch“.

Ziel dieses Schwerpunktes laut Aktionstag-Homepage: „Eine breite Öffentlichkeit über die Arbeit und Angebote der Suchtberatungsstellen informieren.“ Vielen Menschen sei nicht bekannt, welche vielfältigen Aufgaben die Suchtberatung übernimmt.

Anne Fitschen kennt diese Problematik. Im Interview gibt sie Antworten auf die drängendsten Fragen zum Thema.

Frau Fitschen, wann sollte ich mir Hilfe suchen?
Anne Fitschen: In der Regel spürt man selbst, dass es Probleme gibt, die man aber ignoriert oder zur Seite schiebt. Meist ist es ein Anlass von außen, der dazu motiviert, sich tatsächlich nach Hilfe umzuschauen: die drohende Trennung von der Partnerin/vom Partner, Führerschein-Abgabe, Ärger am Arbeitsplatz, natürlich auch gesundheitliche Probleme. Alles Alarmzeichen, die man nicht ignorieren sollte.

Wie finde ich zur Suchtberatung?
Ganz einfach über das Internet, zum Glück sind wir mit unseren Angeboten in der Fritzenwiese in Celle schon recht bekannt. Man kann uns online nach einem Termin fragen, anrufen oder zur offenen Sprechstunde kommen. Die gibt es an jedem Werktag außer Dienstag für jeweils zwei Stunden (alle Informationen unter www.psychosoziale-beratung-celle.de).

Mit welchen Problemen darf ich überhaupt kommen?
Wir schicken niemanden weg und laden auch herzlich Angehörige von Menschen mit Suchtproblemen ein, zu uns zu kommen und sich zu informieren. Wir sind die erste Anlaufstelle für alle, die mit der Sucht und ihren Folgen zu kämpfen haben.

Was kostet mich das und wie läuft das dann ab?
Unser Angebot ist kostenlos. Umso wichtiger ist für uns eine solide Finanzierung für die Zukunft durch die Gelder des Landkreises Celle und des Landes Niedersachsen. Wer zu uns kommt, nimmt zunächst wie beim Arzt im Wartezimmer Platz und wird dann zum Gespräch unter vier Augen in unsere Büroräume gebeten. Neben ein paar Standardfragen lasse ich mir dann in der Regel zunächst die Situation und Problematik erklären.

Mit welcher Erfahrung geht man aus so einem Erstgespräch?
Hoffentlich mit einem guten Gefühl und der inneren Bestätigung: Gut, dass ich diesen Schritt gegangen bin. Es ist ein erster Schritt von vielen, aber ein wichtiger: Wenn erstmal Scham und Scheu überwunden sind, sich seinem Problem zu stellen, ist schon mal sehr viel getan. Uns geht es in diesen Gesprächen darum, Berührungsängste zu mindern und den Menschen deutlich zu machen, dass es keine Schande ist, abhängig zu sein. Eine Schande wäre es nur, nichts dagegen zu unternehmen.

Wie geht es nach dem ersten Treffen weiter?
Wir versuchen dann, den richtigen Weg für die Zukunft zu finden. Macht es Sinn, dass die Person weiter zu uns kommt oder doch lieber zu einer anderen Einrichtung? Was haben sich die Betroffenen selbst vorgestellt, wo möchten sie ansetzen, was möchten sie ändern? Was genau ist eigentlich das Problem? Der Konsum? Oder doch eher die Gründe dafür? Ein logischer zweiter Schritt ist die Teilnahme an unserer Orientierungsgruppe.

Was passiert in der Orientierungsgruppe?
In acht themenbezogenen Sitzungen informieren wir über die vielfältigen Probleme der Sucht, versuchen mit Hinblick auf eine geplante Entgiftungs- und/oder Entwöhnungsbehandlung zu unterstützen und zu motivieren oder informieren über Selbsthilfegruppen. Unterstützt werden wir dabei von Ehrenamtlichen, die alle selbst mal betroffenen waren und zusätzlich in Weiterbildungen geschult wurden. Für sie sind wir besonders dankbar, sie helfen sehr Hemmungen abzubauen und Zuversicht zu geben.

Muss ich zur Orientierungsgruppe gehen?
Nein, aber das ist ein großartiges Angebot, das funktioniert. Ich kann es nur empfehlen.

Was passiert nach diesen acht Sitzungen?
Viele Betroffene oder Angehörige haben dann eine Vorstellung davon, wie es weitergehen kann. Vielleicht in einer Selbsthilfegruppe, vielleicht mit einer Therapie. Vielleicht war dieser Erstkontakt schon sehr hilfreich. Ein entscheidender Nebeneffekt ist außerdem der Kontakt untereinander. Sich mit anderen über die eigene Suchtproblematik auszutauschen, kann eine große Erleichterung sei.

Warum machen Sie diesen Job?
Die Grundlage für meine soziale Arbeit habe ich in der kirchlichen Jugendarbeit gelegt. Der diakonische Auftrag der Ev.-luth. Kirche hat mir schon immer viel bedeutet und ist auch zu einer Lebensaufgabe geworden.

Vor welchen Problemen stehen Sie und Ihre Kolleg*innen in der täglichen Arbeit?
Leider gibt es oft zu wenig Behandlungsplätze in Entgiftungseinrichtungen oder in der ambulanten Psychotherapie. Kostenzusagen der Versicherungen dauern immer länger, was natürlich den Prozess verlangsamt und erschwert. Hinzu kommt, dass die vielen verwaltungstechnischen Herausforderungen der Bürokratie immer vielfältiger werden, statt einfacher, was wiederum viel Energie und Arbeitszeit frisst.

Der Schwerpunkt des Aktionstages lautet „Wir sind für alle da…noch“. Warum dieser Titel?
Weil alle Suchtberatungs- und Suchtpräventionsstellen die Sorge eint, dass die Finanzierung in Zukunft nicht mehr gesichert wird. Vor allem der soziale Bereich hat unter den Folgen der Energiekrise und der Coronapandemie sehr gelitten. Wir wollen am Aktionstag deutlich machen, dass Suchtberatung nicht nur ein wichtiges, sondern ein essenzielles Angebot ist. Und nicht zuletzt allein schon aus wirtschaftlichen Gründen unterstützt werden sollte. Eine Studie aus Bayern hat herausgearbeitet, dass jeder investierte Euro in der Beratung und Prävention 17 Euro an Folgekosten der Sucht einspart.